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DER BLECHBLÄSER als  PDF-Datei


EFFES SOZIOLOGISCHE SCHRIFTEN
HEFT 1

DER
BLECH
BLÄSER


EINE TYPOLOGISCHE BETRACHTUNG
VON
RAINER EFFENBERG

Statt eines Vorworts
Über die Bratscher kursiert folgendes Bonmot:
„Man hört sie nicht, man sieht sie nicht, aber der himmlische Vater ernähret sie doch“. Ach, wenn man dies doch auch von den Blechbläsern behaupten könnte!

Statt einer Einleitung
Über den Blechbläser kursieren so viele falsche Vorurteile und abstruse Vorstellungen, daß der Autor dieser Zeilen sich bemüßigt sieht, diese ein für alle Mal in die Welt zu schaffen!

Der Autor
hat nach frühkindlichen Verfehlungen (pfui-ba-ba!) nie wieder Blech oder Holz in den Mund genommen. Er hat das Holz unter das Kinn genommen und Bratsche studiert. Nachdem er festgestellt hatte, daß sich mit Holz unter dem Kinn kein Geld verdienen läßt, absolvierte er noch einen Fernkurs in Soziologie. Seitdem ist er sehr erfolgreich als Coach gescheiterter Musiker tätig. Seine erstes Buch mit dem Titel „Labern statt Tun“ wurde zum internationalen Bestseller und ermöglichte ihm, sich als freier Schriftsteller nur noch dem Labern zu widmen.




GESCHICHTE

Der Blechbläser gehörte einst zu den Zünften. Die Zünfte, das war damals eine Vereinigung hochangesehener Bürger, die wirklich etwas konnten, ja sogar perfekt beherrschten, nämlich ihr Handwerk! Der eine konnte Schweine spalten und daraus Schnitzel herstellen und andere fleischliche Leckereien; der andere konnte Bäume spalten und daraus Häuser bauen für die Bauern und deren Schweine; der nächste metzte die Steine, dank derer wir heute noch die großartigen Kathedralen der Gotik bewundern dürfen; es gab den Gerber, den Zimmermann, den Bäcker und vielerlei andere nützliche Berufe – und eben den Blechbläser. Doch was konnte der? Nun, der hing bei den Zunftversammlungen besoffen im Gildehaus rum und war zünftig, und zwar so zünftig, daß die Zunftmeister ihn kurzerhand aus dem Gildehaus warfen, nicht ohne die spöttische Bemerkung, er solle es doch einmal bei den Musikern versuchen. Doch schon damals konnte einen Blechbläser nichts erschüttern. Er polierte seine Tute, tutete den dritten Dreiklang von links (den hatte er besonders gut drauf) stolzierte selbstbewußt zu den Musikern und verkündete: „Hier bin ich!“

Die Musiker erbleichten. Oh weh, einer von oben! Hat keine Ahnung von der Sache, aber will uns jetzt sagen, wo es lang geht. Der Bratscher meinte kleinlaut, das wäre schon immer so gewesen und würde immer so bleiben und man solle sich besser in sein Schicksal fügen, aber schon damals war Bratschers Wort nichts wert. So beschloß die Konferenz der Musiker, den Blech-Heini nicht in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Dieser nahm ihr Urteil zünftig zur Kenntnis, doch, wie gesagt, schon damals konnte einen Blechbläser nichts erschüttern, und so polierte er seine Tute und tutete schmetternd den Dreiklang, den er besonders gut draufhatte, nämlich, wie wir schon wissen, den dritten von links. Die Musiker erschraken zu Tode ob der erlittenen Dezibel-Pein, nur die hübsche Blockflötistin, die Freundin des Tenor-Gambisten hauchte:“ Boah, was ein Rohr!“ Die Musiker waren dermaßen eingeschüchtert, daß sie nicht mehr wagten, den Tuter wegzuschicken. Glücklich war darüber keiner, wenn wir mal von der hübschen, blonden Flötistin absehen.

Doch die Zeiten ändern sich, und das war früher auch schon so. Da man den lautstarken Pustefritzen nicht mehr losbekam und inzwischen seine Zünftigkeit vielleicht sogar vermißt hätte, erfand man kurzerhand einen neuen Musikstil, der dem Vermögen des Trompeters entsprach und ihn das spielen ließ, was er am besten konnte. Wie wir ja schon längst wissen, war dies der dritte Dreiklang von links. Dieser wurde nun als einzig gültiger Dreiklang definiert, und so entstand der C-Dur-Dreiklang, und um den herum wurden nun Orchesterwerke komponiert. Diesen Musikstil nennt man Klassik! Die Streicher schwitzten, die Holzbläser schwitzten, und die Komponisten schwitzten, diente ihr Tun doch einzig und allein dem edlen Ziel, das Blech am Ende eines jeden sinfonischen Werkes aufstehen zu lassen, um den ehemals dritten Dreiklang von links, welcher jetzt zum Dreiklang an sich aufgestiegen war, lautstark zu Gehör zu bringen.

Es gab in der Folgezeit noch viele vergebliche Versuche, den Blechbläser in die Hohe Kunst einzubinden. Gustav Mahler beispielsweise läßt die Reprise im letzten Satz seiner Dritten Sinfonie von der Trompete im Piano vortragen. Eine Beleidigung für jeden ehemaligen Zünftler, hatte er doch anno dazumal durch pure Kraft seines Rohres die hübsche Flötistin beeindruckt. Oder gar Franz Schmidt in seiner Vierten Sinfonie: Beginnt mit nicht endenwollendem unbegleitetem! Trompetensolo im Piano und hört auch so wieder auf. Allerdings sei zur Ehrenrettung Franz Schmidts gesagt, daß er zwischen diese beiden Trompetensoli wirklich gute Musik eingefügt hat.




STUDIUM

Auch wenn es mancher nicht glauben mag: heutzutage kann man ein Blechblasinstrument sogar studieren und dadurch zum Akademiker aufsteigen. Höhere Schulbildung oder gar Notenkenntnisse sind dafür nicht erforderlich, eine gewisse bläserische Naturton-Begabung reicht vollkommen aus. Der Blechstudent unterscheidet sich von seinen Kommilitonen dadurch, daß er sich ausgiebige Kneipen- und Bordellbesuche sowie ein Auto leisten kann, denn er hat Kohle im Überfluß. Während die Musikstudenten neben stundenlangem Üben ihre Zeit mit Harmonielehre, Gehörbildung, dem Drücken von Kadenzen und ähnlichem Quatsch verplempern, geht der Blechbläser lieber muggen. Denn Musikstudium heißt für Ihn ausschließlich: Hauptfachunterricht! Dieser wird in der Regel erteilt von einem gutaussehenden berufsjugendlichen Proff, der sich selbstverständlich mit seinen Studenten duzt und sich von ihnen lediglich dadurch unterscheidet, daß er noch mehr Kohle hat, das protzigere Auto fährt, und so weiter. Für seine Studenten ist der Proff ein Guru und sie jauchzen vor Vergnügen, wenn er in geselliger Runde von seiner Studentenzeit erzählt und damit prahlt, daß er in Gehörbildung immer eine „fünf“ hatte. Unvermeidlich bringt er dann jene, zugegeben erheiternde und durchaus glaubwürdige Geschichte seiner Klavierabschlußprüfung zu Gehör:

„Also, ich locker rein in die Prüfung, hatte mir nochmal diese bepißte Invention von der Aufnahmeprüfung reingezogen, fragt mich doch glatt so ein Flügelkasper, bei wem haben Sie denn Unterricht, ich dann zu dem Heini, bei Herrn Müller, da guckt der blöd wie'n Auto und sacht, aber der ist doch vor einem Jahr gestorben, und ich sach dann, ach das tut mir aber leid. Man, das war vielleicht geil, die blöden Visagen von den Flügelkaspern hättet ihr sehen müssen......“ Nach dieser Erzählung steuern die Blechstudenten einem ersten Höhepunkt fröhlichen Seins entgegen, der Prof. gibt noch 'ne Runde aus und dann wird gemeinsam über diese Tonsatzfuzzis hergezogen, diese Theoretiker, die null Ahnung von Musik haben, nicht mal ein Instrument spielen können und vor ihrem doofen Klavier was von Kadenzen labern.

Man sollte nun nicht den Fehler begehen und wütend vom Nebentisch aus rufen: „War Bach für euch auch so ein Theoretiker, der von Musik null Ahnung hatte, war Bach für euch auch nur so ein Tonsatzfuzzi?“ Nein, das sollte man nicht tun! Ich weiß das, denn derjenige, der das wütend gebrüllt hat, der war ich, und ich habe diese Entgleisung später bitter bereut. Kein Bier mehr ausgegeben zu kriegen, konnte ich noch verschmerzen, nie mehr mit dem Auto mitgenommen zu werden, war schon schlimmer, aber das Schlimmste war: ich war finanziell ruiniert. Bei Friedhofsmuggen zum Blech die Begleitorgel drücken, das ging nicht mehr, denn die Jungs hielten zusammen und suchten sich andere Kadenzendrücker. Pleite und frustriert wechselte ich Fach und Hochschule und wurde Bratscher, doch dazu später.




SOZIALVERHALTEN

Der Blechbläser bleibt am liebsten unter sich. Das Rudel bevorzugt geschlossene Räume, in denen Alkohol ausgeschenkt wird. Wird kein Alkohol ausgeschenkt, bringt es welchen mit. Bei diesen Treffen werden in erster Linie Witze erzählt. Drei Themenbereiche haben es dem Blechbläser besonders angetan: Sex, Vögeln und Ficken. Das verwundert nicht, denn seine hervorragendste Eigenschaft ist sein hervorragender Eigenschaft!

Die leicht eingeschränkte Thematik wird durch sein brillantes Erzählertalent locker wieder wettgemacht. Bleibt nach dem Witze-Erzählen noch Zeit (was selten der Fall ist), wird über schnelle Autos philosophiert. Neben der Motorenleistung geht es dabei vor allem um die Frage, ob der Wagen neben der gebotenen Schnittigkeit auch noch genug Platz zum Vögeln läßt.

Angehörige anderer Rudel werden keinesfalls geduldet, mit einer Ausnahme: der Bratscher. Der Bratscher nämlich ist ein autistischer Eigenbrötler. Am liebsten hat er seine Ruhe. Doch auch Eigenbrötler suchen bisweilen Sozialkontakte. Zu seinen geigenden Kollegen will er nicht gehen, denn die erzählen ihm Bratscherwitze. Aber die kennt er schon alle. Oder sie diskutieren stundenlang Fingersätze. Das findet er langweilig. Denn er braucht keine Fingersätze. Zu den Pianisten will er auch nicht. Denn die haben die Musik erfunden und dozieren und dozieren, doch so genau will er das gar nicht wissen, denn selbst wenn er alles wüßte, was die Pianisten wissen, würde er nicht mehr verdienen. So führte ihn eines Tages der Zufall in einen geschlossenen Raum, in welchem Alkohol ausgeschenkt wurde, und dort traf er auf ein Rudel, das, wie er, auch keine Fingersätze brauchte, das, wie er, recht trinkfest war, viel trinkfester als seine Geigenkollegen, und als er dort noch ganz neue Witze hörte, blieb er einfach sitzen. Eine Woche später saß er wieder da und noch eine und noch eine, und bald hatte ihn das Rudel akzeptiert, ja es geht sogar die Mär, daß so manch heimliche Freundschaft zwischen Blech und Bratsch geschlossen worden sei.




MUGGEN

Der Blechbläser konzertiert nicht, sondern er hat Muggen. Davon hat er viele, was umso erstaunlicher ist, als er unter 300 Euro seine Polsterpfeife gar nicht erst auspackt. Dies unterscheidet ihn vom Streicher. Würde dieser 300 Euro verlangen, könnte er gleich wieder einpacken. Am liebsten spielt er solo mit Orgel auf Hochzeiten und Beerdigungen. Die beiden Lieder hat er drauf und der Organist hat sie auch drauf; das erspart lästige Probenarbeit.

Muggen mit Orchester sind auch in Ordnung, zumindest, wenn es sich um das Trompetenkonzert handelt. Dieses heißt Haydn, und er hat es sogar auswendig drauf, das Orchester hat vorher geübt, auch das erspart lästige Probenarbeit. Muggen als Orchestermitglied, die haßt er allerdings. Mit einer Ausnahme: das WO (für Nicht-Eingeweihte: Weihnachtsoratorium von Bach). Es gibt sogar echte WO-Spezialisten, die blasen nichts anderes und muggen sich im Dezember locker das Jahresdurchschnittsgehalt eines Streichers zusammen. Schon im Frühjahr herrscht reger Handel an der WO-Börse. Schließlich muß jeder Kirchenmusiker der Region um einen günstigen WO-Aufführungstermin und ein finanzierbares Honorar der Spielzeugtrompeter feilschen. Denn der Beginn eines WO hängt davon ab, wie schnell letztere mit ihrem Porsche von WO zu WO düsen können, und dies erklärt auch die eigenartigen WO-Termine, will doch seltsamerweise keine Gemeinde auf „ihr WO“ verzichten. Ich kannte einmal einen Kirchenmusiker, der sich standhaft dem WO-Zirkus verweigert hatte und stattdessen Streichquartett spielen ließ. Der betreut inzwischen eine kleine Kirchengemeinde auf den Lofoten. Aber woraus besteht denn nun das Geheimnis WO? Ganz einfach: Es ist die Lautstärke, und dafür sorgen die Jungs mit der Spielzeugtröte, ein schrilles Gekreische, das ich meinem schlimmsten Feind nicht wünsche. Aber die weihnachtstrunkene und weihnachtsverblödete Gemeinde verwechselt diesen ohrenbetäubenden Lärm mit Festlichkeit, so daß auch der provinziellste Kirchenchor auf „seinem WO“ besteht, und wenn der Kantor nicht mitzieht, dann zieht er eben auf die Lofoten. So is das!

Abgesehen vom WO jedoch haßt der Blechbläser Orchestermuggen. Da muß er mindestens die Generalprobe mitmachen, sich auseinandersetzen mit elitären Streichern, die sich ihm gegenüber arrogant verhalten und dies nur deswegen, weil sie das Stück schon kennen. Vom Dirigenten ganz zu schweigen: Der nämlich versagt wie immer vor seiner Hauptaufgabe, welche darin besteht, dem Blech sämtliche Einsätze zu geben. So muß der Blechbläser selber zählen und das für die paar Kröten. Wenn dann noch der Dirigent ständig mit der linken Hand Richtung Blech nach unten wedelt, was signalisieren soll: leiser, leiser, spätestens dann hat der Blechbläser die Faxen satt, denn er muß ja sowieso früher los. Das hatte er aber auch schon gesagt, als er zu spät zur Generalprobe kam. Und nun passiert etwas Erstaunliches: Der Maestro, der sich gerade noch die Haare gerauft und sich insgeheim geschworen hatte, noch am selben Abend die Musikliteratur nach Werken ohne Blech zu durchforsten, derselbe Maestro macht einen tiefen Bückling vor dem Jung mit dem Rohr und verabschiedet sich laut und vernehmlich mit den Worten: „Vielen Dank, schön, daß Sie für uns Zeit hatten!“ Die Streicher schauen so dumm aus der Wäsche, daß es an der Zeit ist, eine neue Überschrift aufzumachen, nämlich:




DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN STREICHERN UND BLÄSERN

Nun gibt es ja nicht nur Blechbläser, es gibt auch noch die Holzbläser, und manche, die ihr Holz bekauen, werden fragen: wo bleiben wir, wir Holzbläser, wir sind doch auch Musiker! Diesen kann ich nur entgegnen: Ihr seid nichts, ihr seid nicht Fisch und nicht Fleisch. Nur die Querflötistin bildet hier eine Ausnahme: sie ist zweiteres und hat deswegen mehrere Verhältnisse. Eines mit einem Geiger (wegen der Mozart-Flötenquartette), dann noch eines mit dem Hochschulkorrepetitor (wegen der Reinecke-Sonate) und zu guter Letzt noch eines mit einem Trompeter; weswegen, weiß sie selber nicht – vermutlich war er beim Griechen der Schnellste. Aber keine Sorge, dies alles sind nur studentische Plänkeleien. Heiraten wird sie später mit Sicherheit einen Geschäftsmann aus der Führungsetage, der ermöglicht ihr ein auskömmliches Leben, und da er viel unterwegs ist, braucht sie auch weiterhin auf Mozart-Flötenquartette, Reinecke-Sonate und griechisches Essen nicht zu verzichten.

Aber zurück zu den anderen Holzbläsern: nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht Musiker, noch Nichtmusiker. Schwierige Materie also, welche die Frage aufwirft: wo sind sie denn, die Musiker? Ganz einfach: Komponisten sind Musiker, manchmal auch Pianisten oder Organisten, bisweilen findet sich auch bei den Streichern ein Musiker, selten bei den Holzbläsern. Und nun bitte ich dieselben, ihr Rohrblatt zu halten, denn diese soziologische Abhandlung hat nicht die Musik zum Inhalt, sondern deren Gegenteil, nämlich den Blechbläser. Deshalb korrigiere ich obige Überschrift und schreibe:


DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN STREICHERN UND BLECHBLÄSERN

Um es gleich vorwegzunehmen: es ist kein sonderlich gutes. Und da die Herren von der blechernen Zunft nicht bereit sind, ihre Vorurteile gegenüber den Streichern abzubauen, wird sich daran auch so bald nichts ändern! Allerdings sollte sich auch der Streicher fragen lassen, ob nur die Blechbläser daran schuld sind, daß er sein ganzes Leben im wahrsten Sinn des Wortes vergeigt hat. Das Schlüsselwort heißt „Üben“.
Der Geiger beginnt das Kaputt-Üben seiner Halswirbelsäule schon im zarten Vorschulalter. Ist er leidlich begabt oder gänzlich untalentiert, hat er Glück gehabt. Dann kommt er an die städtische oder kreiseigene Musikschule. Dort bringt der Unterricht viel Spaß, denn er soll ja nicht Paganini werden, er soll ja nur Geige lernen. Das lernt er dort auch, und nach 14 Jahren Lernen spielt er voller Stolz auf seiner Abi-Feier das G-Dur-Konzert von Vivaldi, in der dritten Lage ein wenig schief, aber dafür im halben Tempo, was wiederum am Pianisten liegt, denn der war auch 14 Jahre an der Musikschule.
Soviel zum Geiger, der das Glück hatte, an der Musikschule Spaß zu haben. Da er aus naheliegenden Gründen keine Muggen hat, wollen wir uns nicht weiter mit ihm beschäftigen und uns jenem zuwenden, der das Pech hatte, begabt zu sein. Dieser landet nicht an der Musikschule, sondern bei einem Privatlehrer. Der beherrscht sein Instrument vorzüglich, ist in seinen jungen Jahren knapp an der Solistenkarriere vorbeigeschrabbt und im städtischen Orchester stellvertretender Konzertmeister. Daneben ist er noch als gesuchter Kammermusiker tätig, macht Rundfunkaufnahmen, kennt alle Plattenstudios der näheren Umgebung, in der Sommerpause spielt er in diversen Festival-Orchestern, und zum Ausgleich unterrichtet er ein bis drei Schüler. Wohlgemerkt: des Ausgleichs, nicht des Honorares wegen, wenngleich letzteres weit über der Gebührenordnung der Musikschule anzusiedeln ist. Doch ist dies auch berechtigt, denn seine Schüler spielen oben erwähntes Vivaldi-Konzert nicht erst zur Ausschulung sondern schon zur Einschulung, welche gleich mit 25 Punkten bei „Jugend Musiziert“ gekoppelt wird.
Der Kollege, wenn man ihn denn überhaupt so nennen darf, also der Kollege von der Musikschule steht fassungslos vor solchen Leistungen, befragt schüchtern den stellvertretenden Konzertmeister nach seinem pädagogischen Konzept und erfährt lapidar: „Wer nicht übt, fliegt raus.“ Deutlich eingeschüchtert fragt er weiter: „Und wie hoch veranschlagen Sie die täglich zu absolvierende Übezeit ohne die kindliche Kreativität übermäßig zu...äh,äh.....?“ Mit einem barschen „Minimum 2 Stunden“ wendet sich der stellvertretende Konzertmeister genervt von der Musikschul-Heulsuse ab.
Das sitzt! Die Heulsuse überarbeitet ihr pädagogisches Konzept, und bald verkündet sie es selbstbewußt allen Kindern, Mammis, Pappis und der Schulleitung: „Und daß eines klar ist: Wer nicht täglich 10 Minuten übt, fliegt raus!“
Daraufhin fliegt die Heulsuse selber raus, und zwar aus der Musikschule, überarbeitet erneut ihr pädagogisches Konzept und legt dieses dem VdM vor (für Nicht-Eingeweihte: Verband deutscher Musikschulen). Der VdM, innovativem Gesülze stets positiv zugewandt, ist begeistert vom neuen Unterrichtsmodell, und schon bald werden wir die ehemalige Heulsuse als Dozentin wiedertreffen, darf sie doch nun bundesweit ihre früheren Kollegen fortbilden zur Thematik: „Die Vernichtung natürlicher kindlicher Kreativität durch exogene Streßfaktoren.“ Oder so ähnlich! Diese Fortbildung wird an allen VdM-Schulen für alle festangestellten Lehrer dienstverpflichtend sein, und so kommt die Heulsuse doch noch zu Ruhm und Ehre und die Kollegen von damals zu einem vergeudeten Fortbildungs-Wochenende.

Doch verlassen wir nun wieder die Musikschulsphäre und wenden uns jenen Profi-Streichern zu, die gemeinsam mit Blechbläsern 'ne Mugge haben. Die haben geübt, bis die Finger wund wurden, hatten eine enorme Literaturvielfalt zu bewältigen, alle Nebenfächer mit „2“ abgeschlossen, ja sogar das Kadenzen-Drücken auf dem Klavier bis zu drei Vorzeichen geschafft. Und nun, was haben sie davon?: Einen Halswirbelsäulenschaden haben sie, fünf Proben pro Mugge haben sie, zigweise Seiten müssen sie abfiedeln, sie haben einen Dirigenten, der in kleinsten Details seine musikalischen Vorstellungen verwirklicht sehen will, und das alles für einen Bruchteil dessen, was so ein Blechbläser an Kohle einschiebt. Der hat nur eine Probe, nur eine Seite Notentext, spielt seinen Dreiklang nur nach Einsatz, steckt die Kohle weg....und dann kommt dieser devote Bückling des Maestros: „Vielen Dank, daß Sie für uns Zeit hatten.“ Da wird dem Streicher einmal mehr klar, wie ungerecht es doch zugeht auf dieser Welt; er empfindet eine herbe Kränkung seiner sensiblen und verletzlichen Musikerseele und sublimiert dies alles durch abgrundtiefe Verachtung der Blechzünftler.




STATT EINES NACHWORTS

Gerne gebe ich zu, daß in vorliegender Schrift der Blechbläser sehr pauschal abgehandelt wurde, und möchte deshalb noch kleine Differenzierungen nachliefern:
Nicht erörtert wurde etwa das feine Gehör des Posaunisten, welcher die filigrane Intonationsarbeit des Geigers im Maßstab 10:1 nachbildet.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich auch noch bei allen Kontrabassisten entschuldigen, die völlig zu Recht der Meinung sind, in einem Buch über Blechbläser zu Unrecht übergangen worden zu sein.
Meine ganz besondere Entschuldigung jedoch gilt den Hornisten. Sie nämlich kennen mindestens drei Kammermusik-Werke: Beethoven-Septett, Schubert-Oktett und Brahms opus 40, und sind somit schon drei mal in ihrem Leben mit Musik in Berührung gekommen. Auch dem Tubisten möchte ich hier meine Hochachtung aussprechen, ist er doch ein heimlicher Intellektueller, der sich in seiner Freizeit mit den Nibelungen beschäftigt und gemeinsam mit seinem Freund, einem Fagottisten, die Reiseberichte von Charles Burney studiert.

Zu guter Letzt entschuldige ich mich bei allen Trompetern, die zu Recht bemängeln, daß ihr Rohr nicht genügend gewürdigt worden sei. Ersatzweise füge ich noch eine LITERATURLISTE an.



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